
Tropen-Kitsch statt Küstencharme
Urlaub unter Palmen – das klingt nach Fernweh, tropischer Hitze und türkisblauem Wasser. In diesem Jahr, wo die Preise für Flüge in den Süden durch die Decke gehen, greifen manche Tourismusbetriebe zu einem Trick: Sie holen die Palmen einfach nach Hause. Genauer gesagt: an die Ostsee.
In der Lübecker Bucht – von Grömitz über Scharbeutz bis Timmendorfer Strand – säumen plötzlich Palmen die Wege zu den Strandkörben. Reetgedeckte Sonnenschirme und Lounge-Möbel sollen das Südsee-Feeling verstärken. Touristinnen und Touristen machen Selfies vor den Exoten, als wären sie auf den Kanaren statt an der deutschen Küste. Der Hintergedanke: Wer sich die Reise in den Süden nicht leisten kann, soll hier das Gefühl davon bekommen.
Doch was kurzfristig als Gag oder als nette Kulisse durchgeht, kratzt langfristig an der Glaubwürdigkeit dieser Urlaubsregion. Die Ostsee ist eben nicht die Karibik – und will es auch nicht sein. Ihre Stärke liegt gerade darin, dass sie anders ist. Das Licht ist kühler, die Farben zurückhaltender, das Klima unberechenbarer. Statt Palmen und Cocktailbars gibt es Strandhafer, Möwengeschrei und eine klare, unverwechselbare Atmosphäre. Es ist genau diese Mischung aus Ruhe, Weite und norddeutscher Direktheit, die viele Menschen anzieht – bewusst, nicht trotz, sondern wegen der Unterschiede zum Süden.
Wenn nun jedoch Palmen aufgestellt werden, nur um tropisches Flair zu simulieren, entsteht ein Ort, der überall sein könnte. Das Einzigartige weicht dem Austauschbaren. Was bleibt von der Identität eines Küstenortes, wenn er beginnt, einem Resort in Dubai oder auf Bali zu ähneln?
Dazu kommt: Auch aus ökologischer Sicht sind Palmen an der Ostsee kein unbedenkliches Accessoire. Ob in Kübeln oder eingepflanzt – sie sind nicht heimisch, brauchen Pflege, und ihre Haltbarkeit im rauen Küstenklima ist fraglich. Was passiert, wenn der nächste Winter frostiger wird? Müssen sie ersetzt werden, wieder neu angeschafft und transportiert werden? Ganz zu schweigen von der Symbolik: Mitten in einer Zeit, in der regionale Identität und Nachhaltigkeit immer wichtiger werden, wirkt es fast schon trotzig, auf Exotik um jeden Preis zu setzen.
Stattdessen wäre es lohnenswert, sich auf das zu konzentrieren, was die Lübecker Bucht wirklich ausmacht. Echte Küstennatur, lokale Kulinarik, Geschichten von Fischern, Seglern und Stürmen. Die Ostsee kann viel erzählen – man muss ihr nur zuhören und darf sie nicht mit tropischen Fantasien übertönen.
Grömitz, Timmendorfer Strand und all die anderen Orte an der Bucht haben das gar nicht nötig. Die Ostsee steht für sich. Und das ist mehr als genug.
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